In der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie stellt die Lieferantenqualifizierung (häufig auch als Supplier Qualification oder Vendor Qualification bezeichnet) eine kritische Säule der GxP-Compliance dar – insbesondere im Rahmen von Good Manufacturing Practice (GMP). Denn die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit eines Arzneimittels hängt nicht nur von den Produktionsprozessen im Haus ab, sondern in erheblichem Maße auch – und oft unsichtbar – von der Stabilität, Reinheit und Konsistenz der zugekauften Materialien, Komponenten, Zwischenprodukte oder Dienstleistungen.
Aus Sicht der Regulierungsbehörden gilt: Der pharmazeutische Hersteller (der „Contract Giver“) bleibt letztlich verantwortlich für die Qualität des Endprodukts, selbst wenn wesentliche Teile des Herstellprozesses ausgelagert sind. Dies beinhaltet auch die Pflicht, seine Lieferanten zu qualifizieren, zu überwachen und zu requalifizieren. In der Praxis ist dies ein komplexer, ressourcenintensiver, aber unverzichtbarer Prozess, in dem Qualität, Risiko, Compliance, Zeit und Kosten miteinander ausbalanciert werden müssen.
In diesem Artikel gehen wir tiefgehend auf die Aspekte ein, die bei der Lieferantenqualifizierung in der Pharmaindustrie zu beachten sind: von den regulatorischen Grundlagen über den konkreten Ablauf, typische Herausforderungen und Fallbeispiele bis hin zu strategischen Überlegungen und wirtschaftlichen Aspekten.
Gemäß Kapitel 5 des EU-GMP-Leitfadens gehört die Auswahl, Qualifizierung, Genehmigung und Pflege von Lieferanten von Ausgangsstoffen, Hilfsstoffen oder Verpackungskomponenten zwingend zum pharmazeutischen Qualitätssystem. Dafür müssen entsprechende Prozesse dokumentiert sein.
Speziell in Kapitel 5.29 wird gefordert: „Audits sollten bei Herstellern und Händlern von Wirk- und Hilfsstoffen durchgeführt werden, um zu bestätigen, dass sie den entsprechenden Anforderungen des GMP/GDP genügen.“
Kapitel 7 (Outsourcing / ausgelagerte Prozesse) legt fest, dass bei ausgelagerten Aktivitäten der Auftraggeber (Contract Giver) sicherstellen muss, dass die Qualität und Compliance kontrolliert werden – was auch die Qualifizierung der Dienstleister/Lieferanten einschließt.
Gemäß Anhang 16 ist die Qualified Person (QP) für die Zertifizierung jeder Charge verantwortlich und trägt damit auch eine Mitverantwortung dafür, dass nur qualifizierte Lieferanten in der Supply Chain eingesetzt werden.
Diese Anforderungen sind keine bloßen Empfehlungen – sie werden von Inspektoren während GMP-Audits konsequent geprüft. Bei Abweichungen oder unzureichender Qualifizierung drohen Regulatory Observations oder gar Warning Letters.
Nach 21 CFR § 211.84 („Testing and approval or rejection of components, drug product containers, and closures“) müssen Hersteller „Components, drug product containers, and closures“ prüfen und genehmigen – und dies schließt oft ein, dass Lieferanten geeignet sind.
In der FDA-Guidance „Current Good Manufacturing Practice — Guidance for Human Drug Products“ wird explizit auf die Erwartung eingegangen, dass Komponenten-Lieferanten qualifiziert werden (siehe Abschnitt III.G.1) [^1].
Für Wirkstoffe (APIs) stellt die FDA-Guidance Q7A (Good Manufacturing Practice Guidance for Active Pharmaceutical Ingredients) Anforderungen an die Qualifizierung von Rohstofflieferanten und Subunternehmern auf, inkl. Verantwortlichkeiten der Qualitätsabteilung.
In der Praxis ist FDA sensibilisiert: Einige Warning Letters führen explizit Qualifizierungsmängel als Hauptkritikpunkt an (z. B. Akzeptanz von CoAs ohne ausreichende Prüfung oder keine Requalifizierung) [^2].
ICH Q10 (Pharmaceutical Quality System) sieht das Lieferantenqualifizierungssystem als integralen Bestandteil eines lebenszyklusbasierten Qualitätsmanagementsystems vor.
Die WHO GMP-Leitlinien betonen denselben Zusammenhang: die Kontrolle der Zulieferkette ist wesentlich, um Partitionierung von Verantwortlichkeiten und Produktsicherheit sicherzustellen – auch in globalen Netzwerken.
Internationale Good Practice Guidelines for APIs, z. B. im Rahmen von EudraLex Teil II, verlangen eine gleichwertige GMP-Konformität bei Wirkstofflieferanten (auch außerhalb des Wirkungsbereichs der EU) [^3].
Die EMA-GMP/GDP Questions & Answers (aktualisiert 2025) thematisieren jüngst auch die Zulässigkeit von Third-Party Auditoren bei API-Lieferanten (siehe unten) [^4].
So ergeben sich verbindliche Erwartungen: Der pharmazeutische Hersteller muss in seiner Sorgfaltspflicht nachweisen können, dass seine Lieferanten zuverlässig, qualitätsgerecht und unter regulatorischem Blickwinkel geeignet sind.
Bevor wir in den konkreten Ablauf einsteigen, lohnt sich eine klare Darstellung der Hauptziele und Prinzipien:
Sicherstellung der Produktqualität und Patientensicherheit: Fehlerhafte Zuliefermaterialien (z. B. Verunreinigungen, mikrobielle Belastung, chargenweise Schwankungen) können gravierende Folgen haben – von Rückrufen über regulatorische Maßnahmen bis hin zu Gefährdung der Gesundheit.
Risikominimierung (Quality Risk Management): Durch systematische Analyse und Steuerung der Risiken in der Lieferkette lassen sich potenzielle Schwachstellen gezielt adressieren.
Regulatorische Compliance: In Audits und Inspektionen muss nachweisbar sein, dass der Hersteller seine Sorgfaltspflichten gegenüber allen Zulieferern erfüllt hat.
Kontinuität und Verfügbarkeit (Supply Assurance): Zuverlässige Lieferanten sichern Termintreue und vermeiden Engpässe.
Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit: Überqualifizierung, häufige Audits oder übermäßig strikte Vorgaben können überdimensionierte Kosten verursachen. Eine risikoadaptierte Strategie optimiert das Verhältnis von Aufwand vs. Sicherheitsgewinn.
Flexibilität und Redundanz: Ein qualifizierter Pool von Lieferanten bietet Auswahl und Backup im Fall von Kapazitätsengpässen oder Produktionsausfällen.
Risikobasierter Ansatz: Nicht jeder Lieferant oder jedes Material braucht denselben Aufwand – kritische Materialien erfordern strengere Qualifizierung als Standard- oder Hilfsstoffe. (vgl. USP <1083>)
Lifecycle-Orientierung: Qualifizierung, Monitoring, Requalifizierung und ggf. Dekomponenten bzw. Deaktivierung folgen im Zeitverlauf.
Transparenz und Dokumentation: Jedes Qualifizierungselement muss nachvollziehbar dokumentiert werden (z. B. Auditberichte, CAPA-Maßnahmen, Verträge, CoA- und COQ-Überprüfungen).
Verantwortlichkeitsverteilung: Der Hersteller darf nicht die Verantwortung unkritisch delegieren; alle ausgelagerten Aktivitäten und Subunternehmer müssen kontrolliert werden.
Kontinuierliche Leistungsbewertung: Key Performance Indicators (KPIs), Trends, Abweichungen und Änderungen beim Lieferanten müssen regelmäßig ausgewertet werden.
Änderungsmanagement (Change Control): Änderungen beim Lieferanten (z. B. Produktionsstandortwechsel, Prozessänderungen) bedürfen vorheriger Bewertung und Genehmigung.
Strategische Ausrichtung: Ein gut durchdachtes Lieferantenqualifizierungsprogramm ist Teil der strategischen Planung – Auswahl, Redundanz, technologische Trends etc. fließen ein.
Der nachfolgende Ablauf stellt eine bewährte und praxisorientierte Vorgehensweise dar – mit Anpassungen je nach Firmenstruktur, Produkttyp und regulatorischem Umfeld.
Ziel: Festlegung, wie kritisch ein Lieferant ist und welcher Qualifizierungsaufwand gerechtfertigt ist.
Klassifizierung nach Kritikalität: Materialien und Dienstleistungen werden nach Einfluss auf Qualität/Patientensicherheit bewertet (z. B. kritisch, mittel, geprüftes Niveau).
Kriterien umfassen u. a.:
• Anwendung (Wirkstoff, Hilfsstoff,
Verpackung, Wirkstofflösung, Zellkulturmedium)
• Risiko von Verunreinigung,
Stabilitätsproblemen, mikrobieller Belastung
• Komplexität der Herstellung
• Herkunftsland und regulatorischer
Rahmen
• Historie und Bekanntheitsgrad des
Lieferanten
Beispiel: Ein Hersteller klassifiziert die Primärverpackung (z. B. Spritzen, Monopipetten) als kritisch, während einfache Hilfsstoffe (z. B. Füllhilfsstoffe) als „mittlere“ Kategorie gelten.
Auf dieser Grundlage wird entschieden, welcher Umfang von Dokumenten, Audits oder Tests nötig ist.
Ziel: Erste Einschätzung potenzieller Lieferanten, um eine Shortlist zu generieren.
Informationsanfrage (RFI / Questionnaire): Abfrage von Basisdaten (Organisation, Managementsysteme, GMP-Status, Inspektionserfahrungen, Zertifikate, Referenzen, Produktionskapazitäten, technische Ausstattung, Umwelt-, Sicherheits- und Compliance-Systeme).
Dokumentenprüfung („Desk Assessment“) &
Dokumentenreview: Hier werden u. a. folgende
Unterlagen geprüft:
• ISO-Zertifikate (z. B. ISO 9001)
• GMP-Zertifikate oder
Inspektionsberichte
• Auditberichte Dritter
• Produktspezifikationen, Analytical
Methods, Validierungs-/Stabilitätsdaten
• Umwelt- und Sicherheitskonzepte
• Qualifikation von Systemen / Anlagen /
Personal
Scoring / Ranking-Modell: Jeder Anbieter wird nach gewichteten Kriterien bewertet (z. B. GMP-Compliance-Sicherheit, technische Leistungsfähigkeit, Kosten, geografische Nähe).
Shortlisting: Typischerweise verbleiben 2–5 Kandidaten, die weiter professionell geprüft werden.
Ziel: In-Person-Inspektion oder Audit, um die gelebte GMP-Reife und Umsetzung zu prüfen.
Auditplanung: Definition von Auditumfang (Standort, Prozesse, Subunternehmer, kritische Produktions- oder Analysebereiche), Auditteams (Qualität, Technik, Prozess, Compliance) und Auditchecklisten.
Durchführung des Audits vor Ort:
• Überprüfung der Infrastruktur, Reinräume,
Wartung, Kalibrierung, Systeme zur
Rückverfolgbarkeit
• Sicherheits-, Umwelt- und
Qualifizierungskonzepte
• Prozesse, Dokumentation, Change Control,
CAPA-System
• Analyse-, Freigabe- und
Stabilitätsprozesse
• Review von CoAs, Prüfmethoden,
Validierungen
• Gespräche mit Schlüsselpersonen
Auditbericht und Abweichungsanalyse: Erfassung von Observations, Nichtkonformitäten, Empfehlungen zu CAPA.
CAPA-Freigabe und Nachaudit: Der Lieferant legt Maßnahmen vor, der Hersteller bewertet sie und ggf. führt ein Nachaudit durch.
Die EMA hat 2025 in ihren GMP/GDP Q&A-Kriterien festgelegt, dass Third-Party-Audits prinzipiell zulässig sind, sofern sie bestimmten Anforderungen genügen (z. B. Auditorenunabhängigkeit, Nachvollziehbarkeit) [^4]. Dies kann eine pragmatische Alternative sein, wenn eigene Auditoren nicht verfügbar sind.
Ziel: Formale Aufnahme des Lieferanten in die „Approved Vendor List“ (AVL) und vertragliche Bindung.
Freigabeentscheidung: Basierend auf Auditergebnis, CAPA-Akzeptanz und Gesamtbewertung durch Verantwortliche (QA, Einkauf, Technik).
Qualifizierungsvereinbarung / Quality Agreement: Vertragliche Definition von Verantwortlichkeiten, Change-Control-Vorgaben, Auditrechten, Eskalationsmechanismen, Geheimhaltungsvereinbarungen usw.
In FDA-Guidance wird empfohlen, in Quality Agreements eine klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten für jede Unterkategorie der cGMP-Vorgaben vorzunehmen – z. B. wer ist zuständig für Kalibrierung, Rückverfolgbarkeit, Änderungsmanagement, Chargenfreigabe etc. [^5].
Einführung / Onboarding: Der Lieferant erhält die Produktspezifikationen, Advanced Shipment Notice (ASN)-Format, Qualitätsanforderungen, Verpackungs- und Kennzeichnungsanforderungen.
Ziel: Sicherstellen, dass der Lieferant dauerhaft den Anforderungen entspricht – „Qualifizierung ist kein einmaliger Akt“.
Monitoring von Lieferanten-KPIs: z. B. Termintreue, Qualität (Reklamationen, Deviation-Rate, Out-of-Spec-Fälle), Rückmeldungen von Produktions- oder Qualitätsteams.
Regelmäßige Audits / Re-Audits: Je nach Kritikalität in definierten Zyklen (z. B. alle 2–5 Jahre, bei kritischen Materialien häufiger).
Trend- und Datenanalyse: Statistiken, Performance-Reports, Frühwarnsysteme (z. B. wenn Ausreißer auftreten).
Abweichungen / CAPA: Jede Auffälligkeit ist zu untersuchen, der Lieferant muss Abhilfemaßnahmen umsetzen.
Änderungen beim Lieferanten: Jede Änderung (Prozess, Standort, Personal, Ausrüstung) muss vom pharmazeutischen Hersteller bewertet werden – im Rahmen eines kontrollierten Change-Control-Verfahrens.
Re-Qualifizierung oder Deaktivierung: Bei anhaltender schlechter Leistung kann ein Lieferant deaktiviert werden, bis eine erneute Qualifizierung stattfindet.
Jeder Schritt, jede Bewertung, jedes CAPA, Entscheidung und Audit muss dokumentiert und revisionssicher archiviert sein – gemäß GDocP-Prinzipien (z. B. ALCOA+, Integrität der Originaldaten). Ohne vollständige Dokumentation gilt im GxP-Kontext: „If it isn’t documented, it didn’t happen“.
Ein Pharmaunternehmen in Europa war auf der Suche nach einem neuen Lieferanten für einen API-Zwischenstoff aus Indien. Nach dem Pre-Screening blieben drei Kandidaten übrig. Ein Vor-Ort-Audit bei Anbieter A ergab gravierende Mängel in der Rückverfolgbarkeit von Produktionschargen sowie unzureichende Prozessvalidierung. Anbieter B verfügte über ISO-Standards, aber keine GMP-Erfahrung; ihr Audit zeigte Defizite im CAPA-System. Anbieter C konnte ein ehemaliges FDA-Inspektionszertifikat vorlegen, ihre Prozesse und Qualitätssysteme erwiesen sich im Audit als robust. Der Anbieter C wurde qualifiziert, ein Quality Agreement abgeschlossen, und als Backup wurde Anbieter B mit klaren CAPA- und Auditauflagen vorläufig freigegeben. So entstand eine flexible Doppelstrategie, die bei Produktionsschwierigkeiten Reservekapazität sichert, ohne sofort alle Prozesse mit jedem Lieferanten durchzuführen.
Ein europäischer Hersteller benötigte rasch eine Qualifizierung eines Lieferanten in China, hatte jedoch keine eigenen Auditoren vor Ort. Er nutzte einen akkreditierten Dritt-Auditor (Third-Party-Audit). Bei der Bewertung der Auditor-Unterlagen wurde geprüft, dass der Auditor unabhängig war, keine Geschäftsbeziehung zum Lieferanten hatte und dessen Auditmethodik den GMP-Rechtlinien genügte. Die EMA-GMP/GDP Q&A 2025 bestätigen die Zulässigkeit solcher Audits unter bestimmten Bedingungen [^4]. Der Auditbericht war umfangreich, und der Hersteller führte sofort ein Follow-up-Nachaudit durch, um Kapasität und Übereinstimmung zu validieren.
Ein Verpackungs- bzw. Primärmaterial-Lieferant verlegte einen Teil seiner Fertigung in eine günstige, neue Anlage. Obwohl die beteiligten Materialien als mittelkritisch eingestuft waren, wurde der Fall als qualitätsrelevant eingeschätzt. Der pharmazeutische Auftraggeber forderte einen neuen Auditbericht, Vergleichsanalysen zwischen den Produktionen vor und nach dem Umzug, sowie eine formale Bewertung des Change Controls durch die Qualitätseinheit. Erst nach positiver Bewertung und einem Nachaudit wurde die Lieferung wieder aufgenommen; gleichzeitig wurde ein revidiertes Quality Agreement mit Anpassung an die neue Anlage abgeschlossen.
Audits, Nachaudits, Dokumentenprüfungen und fortlaufende Überwachung verursachen erhebliche personelle und finanzielle Lasten. Bei zu konservativen Richtlinien drohen Überqualifizierung und ineffiziente Ressourcennutzung. Andererseits kann eine Unterqualifizierung zu Qualitätsproblemen, Rückrufen, Inspektionsmängeln oder Lizenzverlust führen – mit weitaus höheren Kosten.
Strategischer Ansatz: Implementierung eines risikoadaptierten Ansatzes – hohe Investitionen nur bei kritischen Materialien. Effiziente Tools (z. B. Audit-Management-Software, Lieferantenportale) können Administrationskosten reduzieren.
Lieferanten in unterschiedlichen Ländern unterliegen unterschiedlich strengen Regelungen. Ein Lieferant in einem Drittland muss nachweisen, dass seine GMP-Standards mindestens den Anforderungen der EU (z. B. via EU-GMP, mutual recognition, Inspektionen) entsprechen. Importierende Hersteller müssen darauf achten, dass Ärzte oder Behörden in EU oder USA die Zulieferungen akzeptieren.
Strategischer Ansatz: Einsatz von Lieferanten in Ländern mit Mutual Recognition Agreements (MRAs) oder mit GMP-Inspektionsdeklarationen, bzw. gezielte Vorauswahl von Lieferanten mit globaler Inspektionserfahrung.
Ein häufiger Kritikpunkt aus Inspektorenperspektive ist, dass Hersteller CoAs zu leicht akzeptieren, ohne ausreichende Querverifizierung (z. B. durch Retests) oder auditierte Validität zu prüfen. In Warning Letters finden sich oft Hinweise auf „acceptance of COAs without supplier qualification“ [^2].
Strategischer Ansatz: Risikoadappierte Stichproben-Retests, Vergleich von Trenddaten, Cross-Checks mit Referenzlabors, Kontrolle der Validierung der Analysenmethode beim Lieferanten.
Wenn ein Lieferant Prozessänderungen, Standortwechsel oder andere Anpassungen vornimmt, muss der pharmazeutische Hersteller in der Lage sein, Auswirkungen auf Produktqualität und Regulierung zu bewerten und ggf. Nachqualifizierungen einzuleiten. Unklare oder fehlende Änderungsmitteilungen (Change Notification) sind oft Prüfgegenstand.
Strategischer Ansatz: Eine vertraglich geregelte Änderungsmitteilungspflicht, klare Change-Control-Prozesse, Bewertungsrichtlinien und Sanktionen bei Nichtmeldung.
Selbst innerhalb eines Unternehmens können Auditoren unterschiedlich streng sein, Checklisten variieren und Auslegungen divergieren. Dies kann zu Inkonsistenzen in Freigabeentscheidungen führen.
Strategischer Ansatz: Zentralisierte Audit-Standards und Scorecards, Schulungen für Auditoren, Peer-Review von Auditberichten und ein internes Audit-Qualitätssystem.
Wenn ein qualifizierter Lieferant ausfällt (z. B. Insolvenz, Qualitätsmängel), muss schnell auf Backup-Lieferanten umgeschaltet werden können. Die Umschaltung erfordert jedoch oft neue Qualifikationen, was Zeit gefährdet. Ausfälle in der Lieferkette können zu Produktionsstillständen führen.
Strategischer Ansatz: Aufbau eines qualifizierten Lieferantenpools, parallele Validierung von Backup-Lieferanten, frühzeitige Vorqualifizierung, Rolling Audits während regulärem Betrieb.
Die Qualifizierung erfordert Investitionen – Auditorenkosten, Reisen, Analytik, Dokumentationsaufwand. Diese sind oft Fixkosten, die auf Stückzahlen umgelegt werden müssen. Andererseits entstehen durch Qualitätsprobleme, Prüfzeitverlängerungen oder Regulatormaßnahmen weitaus höhere Folgekosten.
Beispielrechnung: Wenn ein Audit und Nachaudit 20.000 € kostet und eine Charge 1 Mio. Einheiten produziert, entsprechen die Kosten pro Einheit 0,02 €. Wenn durch mangelhafte Lieferung ein Rückruf erfolgt, lässt sich dieser Aufwand oft nicht in den Preis integrieren.
Eine späte Qualifizierung kann den Produktlaunch verzögern. Wenn ein Lieferant erst kurz vor Produktionsstart auditiert wird und Nachbesserungen notwendig sind, kann dies den Zeitplan erheblich beeinflussen. In Projekten mit engen Timelines (z. B. Impfstoffproduktion, Pandemieeinsatz) ist eine frühzeitige Lieferantenqualifizierung essenziell.
Praxisbeispiel: Ein Biotechunternehmen wollte rasch einen COVID-19-Impfstoff produzieren und hatte bereits Produktionsstätten ausgewählt. Die späte Qualifizierung eines Nährbodenlieferanten verzögerte den Produktionsstart um Wochen. Hätte man diesen Lieferanten bereits frühzeitig im Rahmen der Prozessentwicklung prequalifiziert, wäre der Launch reibungsloser verlaufen.
Ein zentral qualifizierter Lieferant kann Skaleneffekte ermöglichen, bessere Konditionen und geringere Auditkosten pro Einheit. Bei kleineren Lieferanten können Mindestmengen, Auditkostenanteile und geringere Flexibilität die Gesamtkosten erhöhen.
Die strategische Entscheidung, zwei parallele Lieferanten zu qualifizieren (Dual Sourcing), kostet initial mehr, erzeugt aber Redundanz, erhöht Verfügbarkeit und verringert das Risiko, bei Ausfall eines Lieferanten handlungsunfähig zu sein. Diese Strategie wird oft in kritischen Materialien (z. B. Rohstoffe, Zellkulturmedien) eingesetzt.
Für APIs gelten oft strengere Kriterien: Nach EU-Direktive 2001/83/EC (Art. 8, 46) muss ein Hersteller den GMP-Status des API-Herstellers bestätigen, meist via Audit oder GMP-Zertifikat [^5].
APIs aus Drittländern erfordern häufig eine GMP-Bestätigung durch eine nationale Behörde, ggf. mit Inspektionen, wenn kein MRA besteht.
Bei biologischen Produkten sind die Materialprofile komplexer (z. B. Zelllinien, Virustests, Spurenanalysen); Qualifizierung von Lieferanten von Zelllinien oder Medien spielt eine zentrale Rolle.
Die EMA hat in ihrer Richtlinie zur Nutzung von Ausgangsmaterialien und Intermediaten biologischer Arzneimittel klar definiert, wie Ausgangsmaterialien von unterschiedlichen Quellen zu behandeln sind [^6].
Primär- und Sekundärverpackungen (z. B. Blister, Fläschchen, Deckfolien) sind kritisch, da sie direkten Kontakt mit dem Arzneimittel haben.
Materialidentität, Extraktanalyse, Wechselwirkungsrisiken (z. B. Migration von Weichmachern) sind Prüfpunkte bei Qualifizierung.
Lieferanten von Verpackungsanlagen sollten ebenfalls qualifiziert werden (Service, Wartung, Kalibrierung).
Auch Dienstleister sind zu qualifizieren: z. B. Sterilisation (E-Beam, Gamma, Autoklav), Reinigung von Anlagen, Validierungsdienstleistungen oder Lagerung von Materialien.
Für Logistik-Provider (z. B. Temperaturführung, Verpackung) ist die Qualifizierung nach GDP-Kriterien (Good Distribution Practice) relevant.
In solchen Fällen kann ein Audit auf mehreren Ebenen erforderlich sein (unterstützende Dienstleistung sowie relevante Subprozesse).
Strategie | Vorteile | Nachteile / Risiken |
---|---|---|
Intensive Eigenaudits bei allen Lieferanten | Höchstes Maß an Kontrolle und Vertrauen | Hoher Aufwand, hohe Kosten, personelle Belastung |
Outsourcing an Dritte (Third-Party Auditoren) | Skalierbarkeit, geringere Aufwände vor Ort, Flexibilität | Qualität des Audits muss sorgfältig geprüft werden, fehlende interne Kontrolle, potentielle Interessenkonflikte |
Kaskadierte Auditketten (Lieferant auditet Sub-Lieferanten) | Delegationsmöglichkeit, geringerer Aufwand für den Auftraggeber | Transparenz steigt, aber Kontrolle sinkt – mehr Risiko, fehlende Tiefe |
Zertifikate / GMP-Register ohne Vor-Ort-Audit | Schneller Einstieg, geringer Aufwand | Hohes Risiko, oft von Inspektoren kritisiert – CoA-Akzeptanz ist allein zu wenig |
Risikoadaptierte Strategie (kritisch vs. nicht kritisch) | Effiziente Ressourcennutzung, Fokus auf Sicherheitsaspekte | möglicher Fehler bei Fehleinschätzung, weniger Kontrolle bei „mittleren“ Materialien |
Die optimale Strategie ist meist eine hybride Lösung: eine Kernbasis strenger Eigenqualifizierung (z. B. für kritische Materialien), ergänzt durch Third-Party-Audits und dokumentenzentrierte Qualifizierung für weniger kritische Materialien.
Digitale Audit- und Qualitätsplattformen: Nutzung cloudbasierter Tools, Audit-Datenbanken und Supplier-Portale zur Effizienzsteigerung und Transparenz.
Remote Audits / Virtual Audits: Besonders während der COVID-19-Pandemie stärker im Einsatz; ergänzen Vor-Ort-Audits, sind aber allein selten ausreichend.
Data Analytics und KI-Unterstützung: Analyse von Lieferantentrends, Vorhersage von Ausfällen oder Qualitätsrisiken.
Blockchain-Traceability-Konzepte: Zur Erhöhung der Transparenz in komplexen Supply Chains, z. B. in biologischen Ausgangsmaterialien oder Zelltherapien.
Globale Harmonisierung: Zunehmende Zusammenarbeit zwischen Behörden (z. B. PDA-SIIG, GMP-Inspektorenforen) und Entwicklung von konsistenten Auditstandards weltweit.
Lieferantenqualifizierung ist zentral für Produktqualität, Patientensicherheit und regulatorische Compliance – sie ist keine optionales Element, sondern ein Muss im pharmazeutischen QM-System.
Ein risikobasierter, lifecycle-orientierter Ansatz ist der Schlüssel: Kritische Materialien rechtfertigen höhere Audit- und Monitoring-Aufwände, einfache Materialien weniger strenge Maßnahmen.
Qualifizierung ist fortlaufend, nicht einmalig: Monitoring, Requalifizierung, Änderungsmanagement und Deaktivierung sind integraler Bestandteil.
Vertragliche Vereinbarungen (Quality Agreements) müssen Verantwortlichkeiten, Change-Control-Verpflichtungen und Auditrechte klar regeln.
Kosteneffizienz und Termintreue dürfen nicht vernachlässigt werden – eine übertriebene Qualifizierung kann genauso schädlich sein wie eine zu lasche.
Technologische Innovationen (Remote Audit, digitale Plattformen, Datenanalyse) bieten Chancen zur Effizienzsteigerung, dürfen aber regulatorische Anforderungen nicht ersetzen.
Transparenz und Dokumentation sind unverzichtbar – jeder Qualifizierungsschritt muss nachvollziehbar sein, sonst gilt er in Inspektionen häufig als nicht durchgeführt.
Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen zusätzlich eine Checkliste oder ein Template zur Lieferantenqualifizierung zur Verfügung stellen, abgestimmt auf EU-GMP oder FDA-cGMP. Möchten Sie das?
FDA. (n.d.). Current Good Manufacturing Practice — Guidance for Human Drug Products (Draft). Abgerufen von https://www.fda.gov/media/88905/download
GMP-Compliance. (o. J.). What are the GMP Requirements for Supplier Qualification? Abgerufen von https://www.gmp-compliance.org/gmp-news/what-are-the-gmp-requirements-for-supplier-qualification
EMA. (n.d.). Guidance on good manufacturing practice and good distribution practice: Questions & Answers. Abgerufen von https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory-overview/research-development/compliance-research-development/good-manufacturing-practice/good-distribution-practice
GMP-Publishing. (2025, Mai). EMA: 2 New Q&As on Third Party Audits of API Suppliers. Abgerufen von https://www.gmp-publishing.com/content/en/gmp-news/news-about-gmp-cgmp/d/ema-2-new-q-as-on-third-party-audits-of-api-suppliers
ContractPharma. (o. J.). FDA’s Quality Agreement Guidance vs. EMA’s cGMP Regulations. Abgerufen von https://www.contractpharma.com/fdas-quality-agreement-guidance-vs-emas-cgmpregulations
GMP-Publishing. (o. J.). New EMA Guideline on Starting Materials from Biological Medicinal Products. Abgerufen von https://www.gmp-compliance.org/gmp-news/new-ema-guideline-on-starting-materials-from-biological-medicinal-products
Stand der Abrufe: 4.10.2025