Die Pharma- und Biotechnologiebranche steht heute im Zeichen einer tiefgreifenden digitalen Transformation. Treiber sind unter anderem zunehmender Wettbewerbsdruck, der Wunsch nach Effizienzsteigerungen, strengere regulatorische Anforderungen sowie das Potenzial, durch datengetriebene Ansätze Produktqualität, Patientensicherheit und regulatorische Compliance besser zu steuern. Im Umfeld der GxP (Good x Practices) – insbesondere GMP (Good Manufacturing Practice) – stellt die Digitalisierung eine Herausforderung und gleichzeitig eine Chance dar: Sie verändert Prozesse, Systeme und Strategien entlang des gesamten Produktlebenszyklus.
Im vorliegenden Artikel untersuche ich, warum die Digitalisierung für die pharmazeutische Industrie unverzichtbar wird, wie sie konkret umgesetzt werden kann, welche Trends sich derzeit abzeichnen und welche Auswirkungen auf GxP-Compliance, Produktqualität, Patientensicherheit, Zeitpläne und Kosten entstehen. Zusätzlich werden Beispiele aus der Praxis und aktuelle regulatorische Initiativen herangezogen.
Der Begriff GxP fasst eine Reihe von “Good Practice”-Anforderungen zusammen (GLP, GCP, GMP, GDP etc.), die Qualität, Datenintegrität und regulatorische Nachvollziehbarkeit entlang des Lebenszyklus eines Arzneimittels sicherstellen sollen [z. B. 0search10]. Für die Herstellung (GMP) gelten detaillierte Anforderungen an Verfahren, Räumlichkeiten, Ausrüstung, Personalqualifikation, Dokumentation, Prüfung und Freigabe.
In der klassischen – papierbasierten oder halbautomatisierten – Umgebung sind viele Prozesse manuell, papiergestützt und fragmentiert. Daten werden häufig in Excel-Dateien, Papierlaborbüchern oder lokalen Systemen vorgehalten. Solche Ansätze bergen Risiken: manuelle Fehler, Lücken in der Rückverfolgbarkeit, verzögerte Reaktionen auf Abweichungen und schwierige Archivierung langfristig.
Die Nutzung von computergestützten Systemen in GxP-Umgebungen unterliegt bereits seit Langem regulatorischen Rahmenbedingungen:
In den USA regelt 21 CFR Part 11 die Anforderungen an elektronische Aufzeichnungen und Unterschriften. Systeme müssen sicherstellen, dass elektronische Daten vertrauenswürdig, genau, verfügbar und unveränderlich sind (unter anderem durch Audit Trails, Zugangskontrollen, Versionierung). [vgl. 0search4, 0search8]
In Europa kommt EU GMP Annex 11 zur Anwendung: Dieser Teil von EudraLex Volume 4 behandelt computergestützte Systeme im GMP-Umfeld. Er verlangt Lebenszyklusmanagement von Software, Risikoanalyse, Änderungsmanagement, Verifizierung/Validierung und Sicherstellung der Datenintegrität.
Darüber hinaus existieren zunehmend regulatorische Überlegungen zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI/ML / AI) im Arzneimittel-Lebenszyklus: So veröffentlichte die EMA 2024 ein Reflection Paper on the Use of Artificial Intelligence und konsultiert neue Richtlinien, die künftig spezifische Anforderungen an KI-Systeme einführen sollen. [vgl. 0search3, 0search17, 0search11]
Aktuell sind Entwürfe für Revisionen von Kapitel 4 (Dokumentation), Annex 11 sowie den neuen Annex 22 (AI) in Konsultation (Stand 2025). Diese Anpassungen zielen darauf ab, digitale-native Umgebungen regulatorisch besser abzudecken und Anforderungen an Dokumentationsführung, computergestützte Systeme und KI klarer zu regeln. [vgl. 0search5]
Die Herausforderung besteht darin, die bestehenden GxP-Grundsätze (z. B. ALCOA+, Datenintegrität, Validierung) in einer digitaleren Umgebung konsequent umzusetzen und neue Technologien „GxP-konform“ zu integrieren.
Die Digitalisierungswelle in der Pharmaindustrie ist nicht rein technologisch motiviert, sondern resultiert aus mehreren miteinander verflochtenen Treibern:
Die Entwicklung neuer Arzneimittel ist extrem kapitalintensiv und zeitaufwändig. Studien schätzen die mittleren Kosten für ein neues Medikament auf nahezu 1 Mrd. USD oder mehr [vgl. 0search6].
Digitale Prozesse (z. B. automatisierte Datenerfassung, Echtzeitüberwachung) vermindern manuelle Tätigkeiten, reduzieren Fehler, beschleunigen Analysen und tragen so zur Verkürzung von Durchlaufzeiten in F&E, Produktion und Qualitätskontrolle bei.
Besonders bei innovativen Therapien oder Orphan Drugs kann die schnelle Markteinführung entscheidend sein – auch regulatorische Programme wie EMA PRIME oder FDA Breakthrough Therapy betonen Zeitdruck [vgl. 0search19].
Durch die zunehmende Bedeutung von Datenintegrität und Auditierbarkeit (z. B. ALCOA+, ALCOA++) wird eine digitale Datenstruktur mit automatisierten Prüfmechanismen immer attraktiver, denn sie kann lückenlose Nachvollziehbarkeit, Versionskontrolle und revisionssichere Speicherung gewährleisten.
In einer digitalisierten Umgebung ist es besser möglich, Datenkonsistenz kontinuierlich zu überprüfen (z. B. Validierungsregeln, automatische Plausibilitätschecks, elektronische Audit Trails).
Zudem erlaubt die Aggregation großer Mengen digitaler Daten die Nutzung fortgeschrittener Analytik (z. B. KI/ML zur Prozessüberwachung, Anomalieerkennung, Vorhersage von Wartungsbedarf).
Konzepte wie Continuous Manufacturing, modulare Anlagen, dezentrale Produktion, Single-Use-Technologien oder Batch-Controlling (digital vernetzt) setzen eine digitale Steuerung und Überwachung voraus.
Die «Smart Factory» mit IoT (Internet of Things), vernetzten Sensoren und Edge-/Cloud-Lösungen ermöglicht einen Datenfluss von der Produktionsebene (Sensoren, Aktoren) bis zur Unternehmens-IT.
Solche Ansätze fördern Agilität, Skalierbarkeit und Resilienz in globalen Lieferketten.
Regulierungsbehörden treiben zunehmend Digitalisierung und datenbasierte Regulierung voran (z. B. EMA’s Digital Strategy, European Health Data Space). Die EMA bezeichnet digitale Transformation als „fundamentalen Wandel“ in regulatorischer Arbeitsweise [vgl. 0search13].
Unternehmen, die digitale und datenorientierte Methoden früh adaptieren, gewinnen Wettbewerbsvorteile in Qualität, Geschwindigkeit und Flexibilität.
Regulatorische Erwartungen hinsichtlich AI/ML, Real-World Data (RWD) und Real-World Evidence (RWE) fordern eine robuste Infrastruktur für Datenverarbeitung und Validität.
Im Folgenden skizziere ich Kerntechnologien der Digitalisierung in der pharmazeutischen Industrie und beleuchte ihre Bedeutung und Herausforderungen im GxP-Umfeld.
IoT-fähige Sensoren und Aktoren in Produktionsanlagen (Temperatur, Druck, Feuchtigkeit, Durchfluss etc.) liefern in Echtzeit Daten.
Beispiel: Ein IoT-enabled Stability-Chamber, der Sensordaten in Echtzeit und konform mit 21 CFR Part 11 überträgt. So kann ein pharmazeutischer Hersteller Schwankungen überwachen, Alarme automatisiert auslösen und Trendanalysen fahren. [vgl. 0academia23]
Vorteile: frühzeitige Erkennung von Abweichungen, Online-Überwachung kritischer Parameter, Reduktion manueller Messungen und Erfassung.
Herausforderungen im GxP: Kalibrierung und Qualifizierung der Sensoren, Sicherstellung von Datenintegrität (z. B. via Verschlüsselung, Zugangskontrollen), Latenzzeiten, Datenmanagement (Edge vs. Cloud), Validierung über das gesamte System.
Automatisierte Probenentnahmesysteme, Liquid Handling Roboter, aseptische Roboterprozesse erlauben reproduzierbare Abläufe und reduzieren menschliche Eingriffe.
Beispiel: In einem biologischen Produktionsprozess könnten automatisierte Fütterungs- und Probenahme-Roboter verwendet werden, die direkt mit dem Manufacturing Execution System (MES) vernetzt sind.
Vorteil: Reduktion manueller Fehler, konsistente Ausführung, höhere Produktivität.
Herausforderung: Validierung robotischer Abläufe, Change Control bei Software-Updates, Integration in GMP-Umgebung.
Traditionell sind CAPA, Abweichungen, Auditmanagement, Dokumentenlenkung und Schulungsmanagement oft manuell oder in verteilten Systemen realisiert.
eQMS-Plattformen ermöglichen durchgängige, modulare und auditierbare Prozesse: elektronische Abweichungsmanagementsoftware, automatisierte Workflows, digitale Schulungs- und Dokumentenverteilung, Schnittstellen zu MES und LIMS.
Vorteile: Transparenz, Prozesssteuerung, Verkürzung von Durchlaufzeiten, konsistente Anwendung von QA-Vorgaben.
Herausforderung: Systemvalidierung, Schnittstellenmanagement, Datenmigration aus Altsystemen, Benutzerakzeptanz.
Cloud-Plattformen ermöglichen skalierbare Datenverarbeitung, Speicherung und Analyse. Hybridmodelle mit Edge-Computing ermöglichen lokale Datenvorverarbeitung (z. B. Validierungsprüfung) bevor Daten in die Cloud gehen.
Regulatorische Anforderungen (Datenschutz, Datensouveränität, Verfügbarkeit) müssen beachtet werden – insbesondere wenn Public Cloud genutzt wird.
In den EMA-Revisionen zu Annex 11 wird explizit auf Cloud-Anforderungen und Validierung digitaler Systeme eingegangen. [vgl. 0search5]
Vorteil: Kostenersparnis, einfache Skalierung, hohe Rechenleistung.
Herausforderung: Nachweis der Sicherheit, Datenintegrität, Verfügbarkeit, Compliance mit Datenschutz (GDPR), Validierung von Cloud-Lösungen.
Anwendungen reichen von Prozessoptimierung, prädiktiver Wartung, Anomalieerkennung, Mustererkennung in großen Datensätzen bis hin zu Qualitätsprognosen oder Optimierung von Formulierungen.
Die EMA und andere Behörden diskutieren zunehmend spezielle Anforderungen an KI/ML im pharmazeutischen Umfeld (z. B. Nachvollziehbarkeit, Bias, Überwachung nach Einsatz, Validierung von Modellen) [vgl. 0search3, 0search11].
Beispiel: Ein ML-Modell könnte Trainingsdaten aus Prozessparametern und Qualitätskennzahlen lernen und Anomalien erkennen, die auf drohende Prozessabweichungen hinweisen.
In regulatorisch sensiblen Bereichen (z. B. Freigaberegeln) ist oft eine hybride Lösung erforderlich: der Algorithmus trifft Vorschläge, der Mensch entscheidet.
Herausforderung: Validierung von KI-Modellen, Versionierung, Governance, Training und Testdatensätze (Datenqualität!), Rückverfolgbarkeit und Monitoring nach dem Einsatz.
Einsatz insbesondere in der Lieferkette und Serialisierung zur Fälschungssicherheit.
Blockchain kann die Rückverfolgbarkeit zwischen Herstellern, Distributoren und Apotheken gewährleisten: unveränderliche Transaktionen, Zeitstempel.
In GMP-bezogenen Anwendungen ist der direkte Einsatz noch begrenzt – typischerweise wird die Blockchain für sekundäre Prozesse genutzt.
Herausforderung: Integration mit bestehenden Systemen, Skalierbarkeit, regulatorische Zulassung (z. B. Nachweis, dass Blockchain-Daten verlässlich und manipulationssicher sind).
Um die Digitalisierung erfolgreich in GxP-konforme Umgebungen zu integrieren, bedarf es sorgfältiger Planung, Steuerung und Governance. Im Folgenden werden zentrale Strategien, technische Architekturmerkmale sowie konkrete Beispiele aufgezeigt.
Ein typischer Umsetzungsplan umfasst mehrere Phasen:
Analyse der Ist-Situation: Prozessaufnahme, Systemlandschaft, Datenflüsse, Schwachstellen (z. B. papierbasierte Prozesse, Excel-Inseln).
Zielbilddefinition: Welche Prozesse wollen digitalisiert werden, welche Technologien (z. B. IoT, MES, AI) sollen integriert werden – mit Bezug zu Qualität, Compliance und Wertschöpfung.
Risiko- und Machbarkeitsbewertung: Technologie-Risiken, Data-Gap-Analyse, Schnittstellenkomplexität, regulatorische Anforderungen.
Piloten und Prototypen: Testimplementation in einem abgegrenzten Umfeld (z. B. Prozesslinie, Labor), mit Validierungsansatz, Lessons Learned.
Rollout und Skalierung: Nach erfolgreichem Piloten sukzessive Ausweitung auf weitere Produktionsbereiche oder Standorte, Anpassung der Governance.
Betrieb und kontinuierliche Verbesserung: Monitoring der Systeme, Änderungs- und Wartungsprozesse, Überwachung (z. B. KI-Modellretraining) und CAPA-Events.
Governance ist zentral: Es ist empfehlenswert, ein digitales Governance Board aus Qualität, IT, Compliance und Prozessverantwortlichen zu etablieren, um Strategie und Risiko steuern zu können.
Ein robustes digitales Zielsystem in der Pharmaindustrie (GxP-konform) könnte folgende Schichten enthalten:
Feldebene / Geräte-Ebene: Sensorik, Aktoren, Steuerungssysteme (z. B. SPS, DCS)
Edge-Computing / Gateway: Vorverarbeitung, Datenfilterung, Local-Lower-Latency-Logik
Manufacturing Execution System (MES): Steuerung von Produktionslinien, Batch-Daten, Integration in Qualitätsprozesse
Labor- und Analyseebene (LIMS / CDS / OLAP / ELN)
Qualitäts- und Governance-Ebene (eQMS / CAPA / Audit Trail / Dokumentenmanagement)
Analyse- / KI-Schicht: Datenmodellierung, ML-Algorithmen, Anomalieerkennung
Cloud / Big-Data-Plattform: Langfristige Speicherung, Data Lake, Reporting und Dashboards
Schnittstellen und Integrationsebene: ERP, SCM, Supplier-Systeme, Lohnfertiger, CMOs
Wichtig: Jede Schnittstelle und jedes Modul muss GxP-konform validiert, gesichert und versioniert sein.
In einer Publikation wird ein semantisch gesteuertes Digitalisierungsframework beschrieben, das insbesondere Wartungsaktivitäten in einem pharmazeutischen Umfeld verbessert. Ein Use Case: Wasserprobenentnahmen bei einer Merck Serono-Anlage in der Schweiz wurden digitalisiert mit Web-basierten Assistenzsystemen zur Automatisierung von Workflows und lückenloser Dokumentation. [vgl. 0academia20]
Dieses Beispiel zeigt: Auch vermeintlich einfache Prozesse wie Wasserprobenentnahmen lassen sich digitalisieren, was zu weniger manuellen Eingriffen, konsistenter Dokumentation und besserer Nachvollziehbarkeit führt.
Die Entwicklung eines IoT-fähigen Stabilitätskammer-Modells, das Sensordaten kontinuierlich erfasst, an ein Visualisierungssystem überträgt und in einem 21 CFR Part 11-konformen Umfeld speichert, belegt das Potenzial solcher Lösungen. [vgl. 0academia23]
Eine solche Anlage erlaubt, unter GMP-Anforderungen, remote Monitoring, Trendanalyse, Echtzeitalarme und Historienführung – insbesondere in globalen Produktionsumgebungen mit verteilten Standorten.
Zahlreiche CDMOs (Contract Development and Manufacturing Organizations) setzen bereits digitale Steuerungssysteme in Continuous-Making-Setups ein. In wissenschaftlichen Übersichten zur Digitalisierung der Pharmaindustrie werden solche Projekte angeführt, wobei der Fokus auf Vernetzung von Produktionsdaten, prädiktiver Wartung und Qualitätsanalytik liegt [vgl. 0search2].
Ein konkretes Beispiel: Ein Hersteller könnte eine kontinuierliche Fermentationsanlage betreiben, bei der Sensoren (pH, DO, Temperatur) mit Echtzeit-Analytics gekoppelt sind. Ein KI-Modul prognostiziert Abweichungen frühzeitig und schlägt Prozesskorrekturen vor, während der Operator überwacht und ggf. eingreift.
Automatisierte Überwachung, Konsistenzprüfungen und Alarmsysteme tragen dazu bei, Abweichungen früh zu erkennen und proaktiv zu reagieren.
KI-basierte Modelle erlauben vorausschauende Anomalieerkennung und Prozessoptimierung, wodurch Abläufe stabiler und sicherer werden.
Durchgängige digitale Dokumentation (Audit Trails, Versionierung, elektronische Unterschriften) verbessert Rückverfolgbarkeit und Nachvollziehbarkeit.
Reduzierung manueller Tätigkeiten, beschleunigte Datenanalyse und automatisierte Workflows können Entwicklungs- und Produktionszeiten verkürzen.
Frühzeitige Entscheidungen (z. B. ob ein Batch freigegeben wird) können unterstützt durch Algorithmen schneller getroffen werden, sofern Validierung und Governance vorhanden sind.
In regulatorischen Programmen mit beschleunigtem Zulassungsverfahren (z. B. PRIME, Breakthrough) kann Digitalisierung einen Wettbewerbsvorteil bieten.
Weniger manuelle Eingriffe, reduziertem Nachbearbeitungsaufwand und geringerer Fehlerquote steht typischerweise eine Reduktion operativer Kosten gegenüber.
Skalierbare Cloud-Lösungen und digitaler Datenaustausch (z. B. mit Lieferanten, CMOs) senken IT-Overhead.
Bessere Wartungsplanung durch prädiktive Instandhaltung kann Ausfallzeiten verringern und die Anlagenverfügbarkeit erhöhen.
Digital native Systeme erleichtern Inspektionen, da Auditoren elektronischen Zugriff zu Audit Trails und Berichten erhalten.
Einheitliche Datenplattformen ermöglichen konsistente Historie, Änderungsmanagement und Dokumentation, was Vertrauen bei Behörden stärkt.
Jedes digitale System, jede Schnittstelle und jedes KI-Modul muss validiert werden im Sinne GxP (Test, Designqualifizierung, IQ/OQ/PQ).
Bei KI/ML-Algorithmen ist die Validierung besonders herausfordernd, da Modelle adaptiv sein können und neue Datenverteilungen berücksichtigen müssen [vgl. 0academia22].
Die Versionierung von Modellen, Rückrollfähigkeit (Rollback), Dokumentation des Trainingsdatensatzes und Governance sind kritisch.
Sicherzustellen, dass Daten attributable, legible, contemporaneous, original, accurate, complete, consistent, enduring, available (ALCOA+) bleiben, ist zentral.
Die Übergabe von Daten zwischen Systemen (z. B. Edge → MES → Cloud) birgt das Risiko von Datenverlust oder Inkonsistenzen.
Audit Trails müssen revisionssicher, unveränderlich und konsistent sein; Änderungen müssen begründet, nachvollziehbar und genehmigt sein.
Cybersecurity wird in digitalisierten Umgebungen zu einer wesentlichen Herausforderung (z. B. Bedrohung durch Hacker, Ransomware, interne Manipulation).
Insbesondere Cloud-Umgebungen müssen streng abgesichert werden, Verschlüsselung, Identity & Access Management (IAM), Multi-Faktor-Authentifizierung etc.
Datenschutz (z. B. GDPR in der EU) ist relevant, insbesondere wenn Patientendaten oder personenbezogene Metadaten verarbeitet werden.
Viele bestehende Anlagen, legacy Systeme und heterogene Plattformen müssen integriert werden – das birgt Schnittstellenrisiken.
Komplexität von Change Control steigt, da Änderungen in einem Modul Auswirkungen auf weitere Systeme haben können.
Governance und Änderungsmanagement in digitalen Umgebungen müssen besonders robust sein.
Digitale Transformation erfordert erhebliche Investitionen (Hardware, Software, IT-Infrastruktur, Schulung, Validierung).
Der ROI hängt stark von Nutzungstiefe, Systemverzahnung und Effektivität der Umsetzung ab.
Während der Migrationsphase besteht das Risiko von Produktionsunterbrüchen oder Compliance-Lücken.
Wie bereits erwähnt, befinden sich neue Entwürfe für Kapitel 4 (Dokumentation), Annex 11 (Computerized Systems) und der Neuerlass Annex 22 (AI/ML) in der Phase der öffentlichen Konsultation (Stand Mitte 2025). Sie sollen die Anforderungen an digitale Umgebungen stärken, insbesondere hinsichtlich:
Dokumentation (als digitale Objekte, nicht nur Text): Alle Medientypen (Text, Bild, Audio, Video) werden einbezogen.
Verstärkte Governance und Risk Based Approach für computergestützte Systeme.
Neue Anforderungen an KI/ML-Systeme: nachvollziehbare Modelle, Monitoring, Bias-Vermeidung, Qualität der Trainingsdaten, menschliche Überwachung.
Supplier Oversight: strengere Anforderungen an Zulieferer von IT-/Softwarekomponenten. [vgl. 0search5]
Diese Änderungen zeigen eindeutig: Die Regulatorik adaptiert sich aktiv an die Realitäten der digitalen Transformation.
Gesundheitsbehörden (z. B. EMA, FDA) forcieren vermehrt Studien mit RWD/RWE, die erhebliche Mengen digitaler Daten generieren (z. B. Patientenregister, Wearables).
Die Integration solcher externen Datenquellen in regulatorisch relevante Workflows erfordert robuste Datenarchitekturen und Compliance-Konzepte.
IonWeil KI-Modelle zunehmend auf realen Patientendaten trainiert werden, steigen Anforderungen an Datenschutz, Bias-Kontrolle und Validität.
Inspektionen und Audits werden zunehmend digital und hybrid durchgeführt. Behörden wie FDA und EMA überlegen verstärkt Remote-Verfahren.
Digital zugängliche Systeme (Audit-Trail-Zugriff, Dashboard, Fernzugriff auf Systeme) erleichtern solche Ansätze.
Gleichzeitig steigen Anforderungen an Systemverfügbarkeit, Redundanz und robuste Zugriffssteuerung.
Behörden könnten in Zukunft KI-gestützte Werkzeuge verwenden, um eingereichte Daten zu prüfen, Anomalien in Submissions zu erkennen oder Dokumentenscreenings durchzuführen.
Unternehmen könnten KI als Unterstützung bei Qualitätsreviews, Dokumentenprüfung und Abweichungsuntersuchungen einsetzen – unter GxP-Vorbehalt.
Um die Digitalisierung unter GxP-Anforderungen erfolgreich zu gestalten, sollten Unternehmen folgende Punkte berücksichtigen:
Strategische Planung & Leadership Commitment: Digitalisierung darf nicht nur IT-Initiative sein – sie muss von Management, Qualität, Compliance und IT getragen sein.
Governance-Strukturen: Einrichtung eines interdisziplinären Digital-Governance-Boards oder Lenkungsausschusses.
Risikobasierter Ansatz: Priorisierung der Prozesse mit maximalem Business-Impact und Compliance-Risiko.
Modulare und skalierbare Architektur: Offene Schnittstellen (APIs), Microservices, modulare Systeme erleichtern künftige Erweiterungen.
Piloten & agile Implementierung: Kleine Pilotprojekte liefern frühzeitig Erfahrung, Minimierung von Risiken.
Robuste Validierungsstrategien: Validierung gemäß GxP für jede Systemkomponente, inklusive KI/ML-Modelle.
Change- & Lifecycle-Management: Versionierung, Rollback-Pläne, regelmäßige Überwachung, CAPA-Integration.
Aus- und Weiterbildung: Schulung der Mitarbeitenden zu digitalen Werkzeugen, Datenintegrität und Sicherheitsbewusstsein.
Cybersecurity & Datenschutz: Sicherheits- und Datenschutzkonzepte frühzeitig einbinden, regelmäßige Reviews und Penetrationstests.
Kontinuierlicher Monitoring und Verbesserung: Nutzung von KPIs, Audits, Lessons Learned, Prozessoptimierungen.
Die Digitalisierung der Pharmaindustrie ist nicht mehr optional – sie ist eine strategische Notwendigkeit. Sie bietet erhebliche Potenziale für höhere Qualität, schnellere Markteinführung, effizientere Prozesse, bessere Rückverfolgbarkeit und regulatorische Transparenz. Doch sie bringt auch nicht geringe Herausforderungen mit sich: Validierung, Datenintegrität, Systemintegration, Change Control und regulatorische Akzeptanz sind komplexe Themen, die sorgfältige Planung und Umsetzung erfordern.
Die sich in 2025 in Konsultation befindlichen Revisionen von Annex 11, Kapitel 4 und der geplante Annex 22 zeigen, dass die Regulatorik auf dem Weg ist, digitalen Umgebungen stärker Rechnung zu tragen. Unternehmen, die frühzeitig in robuste, zukunftsfähige Lösungen investieren, sichern sich Wettbewerbsvorteile.
Hierbei gilt: Nicht das “technologisch neuesten System” zu implementieren, ist Ziel – sondern eine GxP-konforme, nachhaltige und wertschöpfende digitale Transformation, abgestimmt auf Qualität, Compliance und Patientensicherheit.
Die Digitalisierung ist zentral für die Weiterentwicklung der Pharmaindustrie – auch unter GxP-Anforderungen müssen neue Technologien integriert werden.
Zu den Schlüsseltechnologien zählen IoT, Automatisierung, eQMS, Cloud/Edge-Computing und KI/ML.
Die Kernprinzipien der Datenintegrität (z. B. ALCOA+) und der Validierung bleiben unverzichtbar – sie müssen digital umgesetzt werden.
Die regulatorische Landschaft entwickelt sich weiter: Neue Entwürfe für digitale Richtlinien (Annex 11, Annex 22) machen klar, dass Behörden digitale Modelle stärker regulieren wollen.
Eine durchdachte Strategie, modulare Architektur, Pilotprojekte und robustes Change Management sind zentral für erfolgreiche Umsetzung.
Letztlich entscheidet nicht Technologie per se, sondern ihre sinnvolle Anwendung im Kontext von Qualität, Compliance und Patientensicherheit über Erfolg.
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