Die Herstellung steriler Arzneimittel stellt einen der anspruchsvollsten und risikobehaftetsten Prozesse in der pharmazeutischen Industrie dar. Hier stehen drei zentrale Zielgrößen untrennbar miteinander: Patientensicherheit, Produktsqualität und Wirtschaftlichkeit/Timelines. Fehler oder Mängel im Prozess können zu schwerwiegenden Konsequenzen führen — von Rückrufen oder Marktverboten bis zu gesundheitlichen Schäden. Dieser Artikel beleuchtet Schritt für Schritt den Weg eines sterilen Arzneimittels vom aktiven Ausgangsstoff bis zur endgültigen Freigabe unter den Anforderungen moderner GxP-Regulierung (insbesondere GMP, aber auch in Schnittstellen zu Qualitätsrisiken und regulatorischer Strategie). Dabei werden operative Aspekte („How“) ebenso dargestellt wie rationale Hintergründe („Why“) sowie konkrete Beispiele und Aspekte der Zeit- und Kostenplanung.
Wir berücksichtigen die aktuell geltenden Anforderungen der EU-GMP / EudraLex Volume 4, Annex 1 (gültig seit 25. August 2023, mit Teilregelung bis 2024), sowie entsprechende internationale Leitlinien (z. B. WHO, PIC/S, FDA) und betrachten Herausforderungen, Chancen und Grenzfälle.
Der Herstellungs- und Freigabeprozess lässt sich in folgende Hauptphasen gliedern:
Rohstoff- und Ausgangsmaterialien
Grobaufbereitung / Formulierung / Lösung / Aufkonzentrierung
Sterilisations- oder Aseptikprozess (Vorsterilisation, aseptische Verarbeitung, Füllung, Verschluss, ggf. Lyophilisation)
In-Prozess-Kontrollen & Kontrolle der Prozessumgebung
Abschlussarbeiten, Lagerung, Freigabeprüfung
Batch-Freigabe durch qualifizierte Person (QP / Qualified Person / Responsible Person)
Diese Phasen erfolgen in einem stringenten Umfeld von Qualitätsrisikomanagement (QRM), Kontaminationskontrollstrategien (CCS, Contamination Control Strategy) und kontinuierlicher Überwachung / Trending und Abweichungsmanagement.
Der Fokus liegt bei sterilen Produkten besonders stark auf dem Bereich der aseptischen Herstellung bzw. Sterilisation, da hier das größte Risiko für mikrobiologische Kontamination besteht.
Bereits bei der Auswahl der Ausgangsmaterialien beginnt die Qualitätssicherung: Materialien, die in sterilen Produkten verwendet werden, müssen entweder steril oder sterilisiert werden können oder zumindest nicht die Integrität späterer Sterilisationsprozesse beeinträchtigen.
GMP-Verfügbarkeit / GMP-Konformität: APIs und kritische Hilfsstoffe müssen von Lieferanten stammen, die GMP-konform arbeiten. In der EU / für EU-Produkte müssen Hersteller sicherstellen, dass die eingekauften Materialien nach vergleichbaren GMP-Standards gefertigt wurden oder entsprechende GMP-Zertifikate / Inspektionsbestätigungen bestehen. (European Medicines Agency (EMA))
Mikrobieller Grenzwert, Bioburden: Bei Materialien, die vor Sterilisation weiterverarbeitet werden, wird ein Ausgangs-Bioburden-Spezifikation festgelegt und kontinuierlich überwacht (z. B. < 10 CFU/g oder ähnlich, je Risiko). Solche Werte müssen in Validierungsstrategien und Grenzwertanalysen berücksichtigt werden. (Weltgesundheitsorganisation)
Endotoxin-Risikofaktoren: Insbesondere für parenterale Produkte ist die Kontrolle von Pyrogenität / Endotoxinen essentiell. Materialien, Behälter, Rohrleitungen und Wasser müssen möglichst frei von endotoxischen Kontaminationen sein.
Kompatibilität mit Sterilisationsmethoden: Einige Materialien (z. B. bestimmte Polymere, gedämpfte Zellulose) sind hitzeempfindlich oder können durch Sterilisation chemisch modifiziert werden. Hier ist frühzeitig im Entwicklungsprozess eine Risikoanalyse nötig, ob das Material im Endprodukt tauglich ist.
Qualifizierungsstufen: Lieferantenqualifizierung auf Basis von Audits, Risikoanalyse, Qualitätsvereinbarungen (Quality Agreements).
Eingangsprüfungen / Chargen-Spezifikationen: Jede Lieferung wird gegen spezifizierte Qualitätstests (Identität, Reinheit, Mikrobiologie, Endotoxin, etc.) geprüft. Bei Überschreitung von Grenzwerten ggf. Ausschuss oder Untersuchung.
Streuung / Variabilität berücksichtigen: Bei Rohstoffvariabilität in Charge zu Charge müssen Herstellungsprozesse so flexibel sein, dass sie die Variabilität auffangen können, ohne Sterilitätsrisiken zu erzeugen.
Beispiel: Ein Hersteller steriler Injektionslösungen kauft Natriumchlorid-NaCl (Ph. Eur. / USP). Die Liefercharge zeigt eine Bioburden von 25 CFU/g — der Grenzwert ist 20 CFU/g. In der Risikoanalyse entscheidet man, ob eine Vor-reduktion (z. B. durch Reinigung, Filtration) möglich ist oder die Charge abgelehnt wird. Gleichzeitig muss geprüft werden, ob dieser Bioburden das nachfolgende Sterilisationssystem gefährdet.
Kostenmäßig kann eine Lieferantenqualifizierung oder Rückweisung von Materialien erhebliche Auswirkungen haben – insbesondere in frühen klinischen Phasen, wenn Lieferketten oft weniger robust sind. Daher ist eine frühzeitige Lieferantenauswahl mit geringem Risiko vorteilhaft.
Bevor das Produkt in sterile Bedingungen gebracht wird, durchläuft es oft mehrere Vorstufen:
Lösen / Aufkonzentrieren
Filtration / Vorfiltration zur Partikel- und Keimentfernung
Temperaturkontrolle (z. B. Kühlung, Erwärmung)
Puffereinstellung, pH-Justierung, Osmolarität, Additive
Schon in dieser Phase sind Kontaminationsrisiken relevant:
Buffer- und Wasserqualitäten: Nutzung von Wasser für Injektionszwecke (WFI – Water for Injection) oder hochreinem Wasser (HPW) mit streng kontrollierter mikrobiologischer Qualität.
Vor-Filtration: Eine 0,22-µm-Vorfilterung in unsterilem Umfeld kann bereits Wärme- oder Partikelbelastung reduzieren.
Closed Systems vs. offene Systeme: So weit wie möglich sollten geschlossene Systeme eingesetzt werden, um den Übergang zu sterilen Bedingungen zu minimieren.
Ein wichtiger Aspekt ist hier das avoiding of rework loops – d.h. möglichst Vermeidung von Wiederholungszyklen, denn jeder erneute Transfer oder jede manuelle Intervention kann das Kontaminationsrisiko erhöhen. Aus dieser Einsicht heraus wird oft das Single-Use- (Einweg-)System bevorzugt, sofern die Materialkompatibilität gegeben ist.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Hersteller eines monoklonalen Antikörpers bereitet zunächst eine Konzentration in sterilem Buffer, nutzt eine tangentiale Flächenfiltration (TFF) in einem geschlossenen System und führt dann eine Tiefkühlung durch, bevor das Material in sterile Bereiche transferiert wird.
Die Kosten dieser Zwischenprozesse sind nicht trivial: Filter, Pumpen, Sterilisationsvalidierungen und das Risiko von Prozessstillständen (z. B. Verstopfungen) müssen bei der Wirtschaftlichkeitsplanung berücksichtigt werden.
Dieser Abschnitt ist das Herzstück des sterilen Herstellungsprozesses und zugleich die größte Herausforderung. Hier fallen wesentliche technische, regulatorische und operative Aspekte zusammen.
Terminalsterilisation: Bei dieser Methode wird das gefüllte Produkt (z. B. in verschlossenen Ampullen, Behältern) unter definierten Bedingungen (z. B. Autoklav, Trockener Hitze, Strahlensterilisation) sterilisiert. Sie gilt als Goldstandard, da der letzte Kontaminationsschritt nach der Abfüllung eliminiert wird.
Vorteil: Höhere Sicherheit gegenüber Kontamination nach Füllung.
Nachteil: Viele Arzneimittelkomponenten (z. B. Proteine, Biologika, antikörperbasierte Wirkstoffe, empfindliche Wirkstoffe) sind hitze- oder radikalisch instabil und können durch Sterilisation geschädigt.
Aseptische Verarbeitung (Aseptic Processing): Hier wird das Produkt, Behälter und Verschluss unter sterilen Bedingungen verarbeitet (Füllung, Verschließen) und sterilisiert nicht im geschlossenen Behälter. Die Sterilität wird über Prozesskontrollen, Beherrschung der Umgebung und Validierung sichergestellt. FDA gibt dafür ein eigenes Guidance-Dokument heraus („Sterile Drug Products Produced by Aseptic Processing“) (U.S. Food and Drug Administration).
Je nach Produkt und Formulierung wird man entscheiden, welche Strategie geeignet ist. Häufiger Fall bei Biologika: aseptische Verarbeitung in Verbindung mit einem finalen Sterilfilter (z. B. 0,22 µm) plus umfangreiche Prozesskontrollen.
Ein Hersteller von ophthalmischen Augentropfen verwendet ein 0,22 µm Sterilfiltermodul unmittelbar vor der Füllung in Vials. Die Filterintegrität wird nach jedem Chargenlauf geprüft. Die Umgebung der Füllmaschine (Filling Zone) wird als Grade A / B ausgelegt, begleitet von strengster Luftüberwachung und manuelle Eingriffe minimiert. Ein Fehlerrisiko besteht insbesondere dann, wenn ein Filterwechsel erforderlich wird – dieses muss im Masterplan validiert und Risikobewertungen durchgeführt werden.
Ein Hersteller eines injizierbaren Buffer-Puffersystems setzt auf Autoklavierung (121 °C, 20 min) nach der Abfüllung in Fläschchen. Dabei werden Wärmepenetrationsstudien durchgeführt, um sicherzustellen, dass auch im Innern jedes Fläschchens die Zieltemperatur für die benötigte Dauer erreicht wird. Biologische Indikatoren (z. B. Bacillus-subtilis-Sporen) werden verwendet, um den Sterilisationsprozess zu validieren und zu kontrollieren.
Die physische Trennung von (nicht-sterilen) Vor-, Füll- und Abschlussbereichen ist essenziell. Der neue Annex 1 (2023) betont das Konzept der Contamination Control Strategy (CCS): getrennte Zonen, definierte Luftstromrichtungen, Druckgaskaskaden, personelle Barrieren. (GMP Compliance)
Bereichsklassifizierung (ISO-Klassen / GMP-Grades): Für sterile Produkte typischerweise Grade A / B (Füllzone) und Grade C / D für unterstützende Zonen.
Luftsysteme & HEPA-Filtration: Je nach Zone sind HEPA-Filter erforderlich, z. B. H14-Klasse; Luftwechselraten (z. B. 200–400 ACH) müssen spezifiziert und validiert sein.
Druckverhältnisse und Luftdruckhierarchien: Positiver Luftstrom gegen potente Kontaminationsquellen, Druckdifferenziale min. 10–15 Pa oder mehr, je Risiko.
Ein- und Ausgänge, Luftschleusen, Material- und Personenübergänge: Zugänge über Luftschleusen, Übergabeschleusen (Passboxen), Sterilisationsschleusen (z. B. Vaporised H₂O₂), kontrollierte Transferprozesse.
Isolatoren / RABS-Systeme (Restricted Access Barrier Systems): Der Einsatz von Isolatoren oder RABS wird in Annex 1 stärker gefordert, da diese Systeme eine noch stärkere Barriere gegen Mikroben bieten. (rssl.com)
Isolatoren trennen Produkt vollständig vom Bedienpersonal, nur mittels Handschuhe oder roboterischer Schnittstellen wird gearbeitet. (Wikipedia)
Beispiel: Die Firma West Pharmaceutical Services (West Pharma) bewirbt in ihrem Blog die Vorteile von isolatorbasierten Systemen zur Einhaltung der Regex-Upgrades nach Annex 1. (West Pharmaceutical Services)
Sterilitäts- und Penetrationsstudien: Für Hitze-, Dampf- oder Strahlensterilisationsprozesse sind Penetrationsstudien (Thermokopplestandorte) und biologische Indikatoren (z. B. Bacillus-Sporen) erforderlich.
Worst-Case-Beladungen: Unterschiedliche Beladungsarten (Maximal-, Minimal-, Worst-Case-Layouts) werden validiert, auch Zonen, die thermisch oder strahlungsmäßig am ungünstigsten behandelt werden.
Sterile Filtervalidierung (Bubble-Point, Diffusions-Lecktests, Bakteriendurchbruchtests)
Prozesssimulation (Media Fill / Aseptik-Simulation): Ein simuliertes Medium (z. B. Tryptose-Nährlösung) wird unter real-identischen Bedingungen gefüllt und dann mikrobiologisch ausgewertet, um das aseptische Verhalten unter Worst-Case-Bedingungen zu demonstrieren.
Halted-Time-Validierungen: Zeit zwischen Sterilisation und Gebrauch, Zeit zwischen Filtration und Füllung müssen validiert sein.
Kontrollstrategien & APIs zur Überwachung (RMM – Rapid Microbial Methods) und In-situ-Sensorik zunehmend gefordert.
Beispiel: Bei einem Medikament im Multi-Vial-Füllprozess werden drei Media-Fill-Produktionssimulationen (mit unterschiedlicher Belastung: eingreifen, Störungen, Filterwechsel) durchgeführt. Die akzeptierte Null-Kontamination ist Voraussetzung für die Validierungsfreigabe.
Partikelüberwachung (≥ 0,5 µm, ≥ 5 µm) in Echtzeit
Atmungsaktive Keimluftmonitoring (aktive Abklatschplatten, Luftkeimproben, Sedimentation)
Kontakt- und Oberflächenmonitoring
Personen- und Handschuhüberwachung
Temperatur, Feuchte, Druckdifferenz, Luftgeschwindigkeit
Trendanalysen: Alle gemessenen Daten werden getrackt, Alarmlevel definiert, Alarmprozesse etabliert
Abweichungs- und CAPA-Management: Jeder Indikatorüberschreitung oder abnormaler Trend wird untersucht, Ursachenanalyse durchgeführt, Maßnahmen ergriffen
Neuere Versionen von Annex 1 verstärken die Notwendigkeit eines holistischen CCS, in dem Umgebungs- und Prozessinformationen integriert werden, um Abweichungen frühzeitig zu erkennen und Kontrolle sicherzustellen. (GMP Compliance)
Nach der aseptischen Verarbeitung oder Sterilisation folgt:
Integritätsprüfung der Behälter (z. B. Vakuumlecktests, Burst-Tests, mikrographische Inspektionen)
Partikel- und Sichtprüfung (z. B. nach USP <788> / EP 2.9.19)
Sterilitätsprüfung (z. B. Membranfiltration, direkte Inokulation nach USP <71> / EP 2.6.1)
Pyrogen-/Endotoxintests (LAL-Test / RPT)
Analyse chemischer Parameter (Assay, Verunreinigungen, pH, Osmolarität etc.)
Identitätstests / Spezifikationen gemäß Zulassung
Stabilitätsprüfungen (z. B. beschleunigt, Langzeit) – diese sind jedoch meist parallel während der Entwicklung
Kontrollbericht / Freigaberwürdigung (Review der Prozess- und Qualitätsdaten inkl. Trending, Abweichungen, Validierungsstatus)
Ein wichtiger Punkt: Sterilitäts- und Pyrogenprüfungen dauern meist Tage (z. B. 7–14 Tage). Das bedeutet, die Freigabe durch die QP (Qualified Person) erfolgt oft verspätet gegenüber Produktionsabschluss – was Auswirkungen auf Lagerung, Zwischenhaltung und Kapitalbindung hat.
Weil die Endprüfung (z. B. Sterilitätsprüfung) typischerweise länger dauert, müssen sterile Chargen interimistisch sicher gelagert werden, bis zur finalen Freigabe:
Isolator-Lagerung oder in kontrollierten sterilen Räumen (Grade C/D, kontrollierte Umgebung)
Eingeschränkte Zugriffskontrolle und Monitoring (Temperatur, Feuchte)
Sicherstellung der Integrität und Identität der Behälter während Lagerung
Separate Lagerplätze für „quarantiniert“ vs. „freigegeben“
Die finale Freigabe einer sterilen Charge erfolgt durch eine qualifizierte Person, die verschiedene Daten zusammentragen und bewerten muss:
Review der Produktions- und Qualitätsdokumentation
Validierungsdaten, Trendanalysen, Abweichungen, Kundenreklamationen
Umwelt- und Monitoringdaten, Umweltsituationen
Analyse von Ausreißern & Root-Cause-Analysen
Auditberichte von Lieferanten, Materialgerechtigkeit
Unterschrift und Verantwortlichkeit
In der EU ist die QP-Funktion durch Gesetzgebung (z. B. EU-Richtlinie 2001/83/EG) fest vorgeschrieben. Der QP muss unabhängig sein und darf keine Produktionsaufgaben wahrnehmen.
Hinweis: Bei Importen aus Drittstaaten müssen Äquivalenzberichte (Certificate of GMP equivalence) vorliegen, die belegen, dass das Auslandsgmp denen der EU / PIC/S entspricht. (European Medicines Agency (EMA))
Sterilitäts- und Pyrogenprüfung (mehrere Tage)
Media-Fill-Simulationen (Zeit für Durchführung und Auswertung)
Abweichungsuntersuchungen und CAPA-Implementierung
Freigabeverzögerungen durch Dokumentenmängel
Wartungs- und Kalibrierungszeiten (z. B. für Anlagen, Heißluftsterilisatoren, Autoklaven, Filtereinheiten)
Qualifizierung / Requalifizierung von Räumen, Leitungen, Werkstoffen
Change-Control-Verfahren bei Produkt- oder Prozessänderungen
All dies kann die Timeline einer Chargenherstellung erheblich verlängern. Ein verzögerter Freigabetermin kann zu opportunitätsbedingten Einnahmeverlusten oder Lagerkosten führen.
Anlagen- und Infrastrukturkosten für Reinräume, Isolatoren, HEPA-Systeme
Reinraumdesign, Piping, Validierungskosten
Personal- und Schulungskosten
Qualitätskontrollen, Laboranalysen, Validierungsaufwand
Risikoprüfungen, CAPA, Auditkosten (intern / extern / Lieferanten)
Kontaminationen / Ausschuss / Recall-Risiken
Zwischenlagerung und Kapitalbindung (im Fall von Chargen, die auf Freigabe warten)
Ein Beispiel: Wenn durch eine Kontaminationsabweichung eine Produktionscharge (Millionen-Volumen) verworfen werden muss, entstehen direkte Materialkosten, aber auch Opportunitätskosten und zusätzliche Qualifikations- und Ursachenuntersuchungskosten.
Ein robustes Quality Risk Management (QRM) gemäß ICH Q9 ist entscheidend, um Risiken von Kontamination, Prozessdeviation und Freigabeverzögerungen frühzeitig zu identifizieren und zu steuern. Annex 1 fordert explizit, dass Kontaminationskontrollstrategien (CCS) auf QRM-Prinzipien basieren müssen. (GMP Compliance)
Ein gutes Beispiel: Beim Einsatz eines neuen Filtertyps wird eine Prozess-Risikoanalyse durchgeführt, um mögliche Durchbruchsrisiken, Integritätsprobleme oder Verunreinigung von Filtermaterial in die Bewertung aufzunehmen, bevor der Filter in der Produktion eingesetzt wird.
Continuous Manufacturing / Inline-Sterilisation / Viral-Inactivation / Single-Pass-Sterile-Filtration: Diese Verfahren erfordern innovative Ansätze zur Validierung und Integration in GMP-Umgebungen.
Continuous Lyophilisation: Aktuelle Veröffentlichungen (z. B. Srisuma et al. 2024) befassen sich mit Mechanistic Modeling von kontinuierlicher Lyophilisation, was künftig Effizienzgewinne bringen kann. (arXiv)
Advanced Therapy Medicinal Products (ATMPs): Für ATMPs gelten teils spezifische GMP-Richtlinien, die über klassische sterile Produktionsmodelle hinausgehen (z. B. EudraLex Part IV).
Rapid Microbial Methods & PAT (Process Analytical Technology): Der Einsatz schneller mikrobiologischer Testmethoden kann Entscheidungszeiten verkürzen. Annex 1 fordert verstärkt den Einsatz solcher Methoden, wo möglich. (rssl.com)
EU / PIC/S Annex 1: Ab 25. August 2023 verbindlich (mit Ausnahme von Punkt 8.123 bis 25. August 2024) wurde Annex 1 umfassend überarbeitet, um Klarheit zu schaffen und moderne Technologien stärker zu berücksichtigen. (Public Health)
FDA: Auch wenn Annex 1 primär ein EU-/PIC/S-Dokument ist, kündigte die FDA an, bei Inspektionen sterile Hersteller zunehmend mit den Anforderungen von Annex 1 zu vergleichen. (GoodLifeSci)
WHO / TRS 1044 Annex 2: Die WHO veröffentlichte 2019 eine Revision ihrer GMP-Anforderungen für sterile Arzneimittel, um eine bessere Harmonisierung mit PIC/S und EU zu erreichen. (Weltgesundheitsorganisation)
Inspektionsfokus & Strafen: Kontaminationen bei sterilen Produkten haben bei Regulierungsbehörden traditionell hohes Priorität. Rückrufe, Warnbriefe und Produktionsstopps sind mögliche Folgen.
Ansatz | Vorteile | Grenzen / Risiken |
---|---|---|
Terminalsterilisation | Höchste Sterilitätsgarantie nach Abfüllung | Hitze- oder Strahlenempfindlichkeit von Wirkstoffen, Validierungskomplexität |
Aseptische Verarbeitung | Flexibilität für empfindliche Wirkstoffe | Höchste Anforderungen an Umfeld, Prozesse, Monitoring, Personeneingriffe |
Isolatoren / RABS | Höhere Barrierestufe gegen Kontamination | Investitions- und Wartungskosten, Komplexität bei Transfers |
Single-Use-Systeme | Reduzierte Validierungsobjekte, Flexibilität | Materialkompatibilität, Extraktables/Leachables, Kostensensitivität |
Ein praxisnaher Fall: Ein kleiner Biotech-Firma entschied sich in ihrer Pilotanlage für RABS anstelle vollständig offener Reinräume, was initiale CAPEX-Investitionen erhöhte, aber mittelfristig weniger Reinigung, Risikomanagement und Qualifizierung erforderte.
Die Herstellung steriler Arzneimittel erfordert eine stringente Integration von technischen, mikrobiologischen, regulatorischen und wirtschaftlichen Aspekten.
Der Übergang vom Ausgangsmaterial über Formulierung bis zum sterilen Endprodukt muss mit einem ganzheitlichen Contamination Control Strategy (CCS) begleitet werden.
Annex 1 (EU / PIC/S) in seiner aktuellen Fassung (ab 2023) stellt verbindliche Anforderungen an personalisierte Risikostrategien, Barrieresysteme und Validierungsprozesse.
Der Entscheid zwischen Terminalsterilisation und aseptischer Verarbeitung hängt stark vom Wirkstofftyp und Stabilitätsprofil ab.
Medienfüllsimulationen, Prozessvalidierungen und Umweltüberwachung sind Kerninstrumente der Qualitätssicherung.
Zeitverzögerungen bei Freigaben, CAPA-Kosten und Kontaminationsrisiken müssen frühzeitig in Projekt- und Wirtschaftlichkeitsplanung einbezogen werden.
Neue Technologien (z. B. Continuous Manufacturing, Rapid Microbial Methods) bieten Chancen, erfordern aber sorgfältige Validierung und regulatorische Akzeptanz.
Diese detaillierte Darstellung soll Fachleuten in der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie helfen, ein fundiertes Verständnis der komplexen Prozesse zu entwickeln, die der Herstellung und Freigabe steriler Arzneimittel zugrunde liegen. Bei Bedarf kann ich auch tiefer in spezielle Teilbereiche eintauchen (z. B. Lyophilisation, Filtervalidierung, Media-Fill-Design, Rapid Microbiological Methods).
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